Rückschau - Perspektive einer Tochter
Spinale Ischämie: Der Tag des Unglücks –
Perspektive einer Tochter
Dienstag, der 12.04.2016, war ein normaler
Tag, bis ca. um 9.30 Uhr mein Handy auf dem Schreibtisch einen Anruf anzeigte
und meine Mutter am anderen Ende war. An ihrer Stimmlage konnte ich schnell
erkennen, dass etwas nicht stimmte.
Sie teilte mir mit, dass mein Vater heute
Morgen nach dem Aufstehen Schmerzen im Rücken gehabt hätte und jetzt eine
Lähmung eingetreten sei, es ihm aber ansonsten gut gehe, und die Notsanitäter jetzt
vor Ort seien.
Daraufhin übergab sie mir einen der Sanitäter,
der mir einige Informationen zum Zustand meines Vaters erläuterte und dann
sagte, dass sie ihn jetzt in die nahegelegene Paraplegiologie in die Notaufnahme
bringen würden. Das sei jedoch nicht so leicht, weil sie ihn erst die Treppe
heruntertransportieren müssten, und da er ja von der Brust abwärts gelähmt sei,
müssten sie ihn mit einem Stuhl hinuntertragen.
Ab diesem Moment lief alles in meinem Kopf auf
Autopilot.
Eine Stimme sagte mir, keine Panik, Du musst
das jetzt regeln, Du musst jetzt die Nerven behalten, alles wird gut.
Ich atmete mehrmals tief durch, um klare
Gedanken fassen zu können, dann fing ich an, über das Intranetz der
Universitätsklinik, auf das ich durch meine Tätigkeit als Ärztin Zugriff habe, einige
mir bekannte Ärzte in der Paraplegiologie zu suchen, die ich kannte. Ich notierte
mir die Telefonnummern, sagte meiner Sekretärin Bescheid, dass sie alle Termine
für den restlichen Tag absagen soll und rannte los. Auf dem Weg hinaus rief ich
eine befreundete Neurologin an und schilderte ihr den Vorfall. Sie überlegte
und bestätigte dann aber auch, dass die Paraplegiologie Notaufnahme die beste
erste Adresse sei.
Wie in Trance fuhr ich dorthin, lief hinein
und wenig später kam der Krankenwagen an. Meinen Vater sah ich, als die
hinteren Türen geöffnet wurden, er sah ängstlich aus, aber gefasst. Ich nahm meine
Eltern in die Arme. Drinnen in der Notaufnahme wurden wir dann erst einmal im
Gang geparkt und es passierte nicht viel. Andere Notfälle mit Blutungen wurden an
uns vorbei in die Behandlungszimmer geschoben und ich bekam langsam Wut und
Panik. Mein Vater berichtete, dass er ein Kribbeln in den Armen verspürte und dass
er das Gefühl hätte, dass die Lähmung aufstieg. Er konnte nicht sitzen, war ab
der Höhe der Brustwarzen nicht mehr bewegungsfähig und spürte dort auch nichts.
Er versuchte auf der Trage immer wieder ins Sitzen oder Vorbeugen zu kommen,
sackte bei diesen Versuchen jedoch zusammen.
Ich griff wieder zum Telefon und rief
verzweifelt meine befreundete Neurologin an und schilderte die Lage. Und sie
sagte, hör zu, Du musst dort Terror machen, Dein Vater muss sofort untersucht
werden, jede Minute zählt! Also klemmte ich mich ans Telefon und schaffte es
schließlich, dass die Untersuchung meines Vaters begann. Wir blieben erst im
Behandlungszimmer, bzw. wurden dann recht schnell hinausgeschickt, als klar
wurde, dass hier ein dramatischer Befund vorlag. Dies spürte man auch daran,
dass auf einmal sehr viele Ärzte und Oberärzte, und dann auch der leitende
Oberarzt vor Ort waren und die Untersuchung übernahmen.
Es wurde dann sehr schnell mit der
bildgebenden Diagnostik gestartet. Mein Vater kam ins CT, und dann ins MRT, ich
lauschte angespannt den Kommentaren der Radiologen, die sich in Echtzeit die
Bilder ansahen. Einerseits erleichternd, andererseits immer mehr
besorgniserregend war jedoch, dass sie nichts, rein gar nichts entdecken
konnten. Nach knapp zwei Stunden bekam ich die nett gemeinte Aussage, mein
Vater sei kerngesund, er sei eben nur gelähmt, und man wisse derzeit nicht
warum. Langsam und mit Ausscheiden aller anderen möglichen Diagnosen erhärtete
sich die Verdachtsdiagnose Spinale Ischämie. Wir alle hatten von diesem Krankheitsbild
und den daraus resultierenden Folgen noch nie gehört. Jeder kennt den
Schlaganfall im Gehirn, aber etwas Ähnliches im Rückenmark, und das bei einem
kerngesunden, sportlichen Nichtraucher war nicht fassbar.
Eine nette mir bekannte Ärztin war dann die
erste, die im Kreis der Familie im Wartebereich die Diagnose Spinale Ischämie und
die Querschnittslähmung aussprach. Und sie sagte auch, dass die Lähmung nicht
in ein paar Wochen wieder weg sein werde, sondern dass es eine dauerhafte
Querschnittslähmung sei wird. Das traf uns wie der Blitz. Meine Mutter
erstarrte, wir alle kämpften mit den Tränen.
Sie sagte auch, dass es im Moment keine
Therapie gäbe, außer eventuell das Gefäß zu finden, und wieder zu öffnen. Dafür
wurde mein Vater zügig in die Neurologie verlegt. Dort wurde eine Kontrastmitteluntersuchung
eingeleitet. Diese war leider nicht in der Form erfolgreich, dass man hätte ein
schuldiges Gefäß ausmachen und eventuell chirurgisch wieder öffnen können.
Deswegen blieb nur die Entscheidung zu einer sehr riskanten Off-Label Lyse
Therapie, die nach Einverständnis meines Vaters eingeleitet wurde.
Jetzt konnten wir nur noch abwarten.
Mittlerweile auf die Intensivstation verlegt war
es am späten Nachmittag endlich möglich ihn kurz zu sehen. Es war das größte
Glück. Er war noch da, er war noch bei uns. Und er war ansprechbar, wir konnten
uns austauschen und ein bisschen für ihn da sein.
Wir haben ihn nicht verloren. Das war der
Strohhalm an den wir uns klammerten, meine Mutter und ich.
Es fühlte sich an wie ein Schnitt, das alte
Leben war wie ein Faden einfach abgeschnitten.
Unwirklich glücklich lag es hinter uns.
Wir waren hinübergeschubst worden in eine neue
Realität. Es würde nichts wieder so sein, wie es vorher war.
Das spürten wir ganz deutlich.
Mir tat mein Vater so wahnsinnig leid. Er war
von einem Moment auf den anderen seines Körpers beraubt worden.
Es fühlte sich unfassbar ungerecht an alle
Menschen laufen zu sehen, und zu ahnen, dass mein Vater das wahrscheinlich nie
wieder können würde.
Bitte melden Sie sich bei mir, wir haben ebenfalls diese Diagnose bei meinem Vater bekommen und sind völlig rat- und hilflos...😔
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